Aschaffenburg: Das Spiel um die bessere Verhandlungs-position beginnt
Die Ereignisse rund um den schrecklichen Messerangriff in Aschaffenburg am 22. Januar 2025 haben die politische Landschaft Deutschlands in eine hitzige Debatte geführt. Zwei Menschen starben, darunter ein zweijähriges Kind, drei weitere wurden schwer verletzt; der mutmaßliche Täter, ein 28-jähriger afghanischer Staatsbürger, sitzt in Untersuchungshaft. Nur einen Tag später äußerte sich CDU-Chef Friedrich Merz mit der Ankündigung, im Falle seiner Kanzlerschaft alle deutschen Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und illegale Einreisen zurückzuweisen. Alice Weidel von der AfD bot der CDU umgehend eine Zusammenarbeit in der Migrationspolitik an, die CDU jedoch sofort ablehnte. Es folgten deutliche Stellungnahmen von SPD und Grünen, die jede Verschärfung der Migrationspolitik mit Verweis auf ihre bisherigen Bemühungen und Investitionen in Integrationsprojekte kritisierten.

Die Chronologie spitzte sich zu:
– Am 25. Januar 2025 lehnte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich die Vorschläge der Union rundheraus ab, ebenso die Grünen.
– Am 26. Januar 2025 kündigte die CDU dennoch an, eigene Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik einzubringen.
– Am 27. Januar 2025 stellte die CDU diese Anträge SPD, Grünen und FDP zu, allerdings ohne die AfD einzubeziehen.
Diese Situation verweist auf eine strategische Gratwanderung der CDU: Einerseits stehen Teile ihrer Wählerschaft hinter schärferen Maßnahmen, andererseits ist eine offene Zusammenarbeit mit der AfD tabu. Bereits in früheren Statements hatte die CDU versprochen, es dürfe nie wieder eine Partei rechts von ihr geben. Das macht die Lage noch komplizierter, da die AfD mittlerweile in weiten Teilen Ähnliches fordert wie die CDU. Gleichwohl ist die CDU laut Umfragen derzeit stärkste Kraft und könnte bald in die Position kommen, eine Bundesregierung bilden zu müssen.
Die Zwickmühle der CDU
Wer regieren will, braucht Mehrheiten. Eine Koalition mit SPD und Grünen erscheint in zentralen Fragen – allen voran Migration – nahezu unmöglich, weil beide Parteien in den vergangenen Jahren viel Geld und Ressourcen in eine liberalere Asyl- und Integrationspolitik investiert haben. Ein Einknicken gegenüber den strengeren Forderungen der CDU würde sie bei ihren Wählern unglaubwürdig machen und potenziell Stimmen kosten, insbesondere bei Wählern mit Migrationshintergrund oder einer ausgeprägt offenen Willkommenskultur.
Dennoch könnte sich die CDU auf das Problem zubewegen, im Bundestag mit AfD-Stimmen zu Beschlüssen zu gelangen, um die eigenen Wahlversprechen vorzeitig umzusetzen. Zwar lässt sich Friedrich Merz nicht offen auf eine AfD-Kooperation ein, doch wenn die AfD schlicht zustimmt, wäre das Stigma einer formalen Zusammenarbeit umgangen. Die SPD und die Grünen wiederum gerieten dadurch in Zugzwang: Um solche CDU-Initiativen rückgängig zu machen oder zu entschärfen, müsste man später in Koalitionsverhandlungen Zugeständnisse machen, die man ohne diese vorherigen CDU-Alleingänge möglicherweise nicht machen würde.
Österreich als Vorbild oder Drohszenario?
Ein Blick nach Österreich zeigt, wie brisant derartige Situationen sein können. Dort musste die FPÖ in Regierungsverantwortung geholt werden, weil sich keine regierungsfähige Mehrheit ohne sie bildete, was der FPÖ in den Umfragen weiter Aufwind gab. Die etablierten Parteien fürchteten Neuwahlen, weil diese die FPÖ möglicherweise weiter stärken würden. Ähnlich könnte es in Deutschland laufen: Neuwahlen könnten die AfD zusätzlich beflügeln, sodass für die CDU eine ungeliebte Koalition mit SPD und Grünen womöglich das kleinere Übel darstellt.
Dennoch hat die CDU die Chance, durch das vorgezogene Umsetzen ihrer Ziele zu signalisieren, dass sie es ernst meint. So könnte sie der AfD ein zentrales Wahlkampfthema entreißen und wieder Wähler binden, die sonst zur AfD abwandern würden. Der Balanceakt für Merz besteht darin, sich zwar durchsetzungsfähig, aber nicht rechtsradikal zu zeigen. Gelingt ihm diese Gratwanderung nicht, droht ein Glaubwürdigkeitsverlust in beide Richtungen: zu liberal für Konservative, zu konservativ für Liberale.

Strategische Theorien und Spieltheorie
Aus spieltheoretischer Sicht stehen die Parteien vor einem sogenannten „Gefangenendilemma“: Jede Partei will maximalen Nutzen (Wählerstimmen, Umsetzung des Programms) erreichen, ist jedoch auf die Kooperation anderer angewiesen. Die CDU versucht jetzt, den Ausgang des Spiels zu ihren Gunsten zu beeinflussen, indem sie vor der Wahl Fakten schafft. Die SPD und die Grünen müssten dann, sofern sie sich mit der CDU an einen Tisch setzen, gegebenenfalls mehr Kompromisse eingehen als ihnen lieb ist. Sollten sie nicht kooperieren und Neuwahlen erzwingen, könnten die Wähler sie dafür verantwortlich machen, was wiederum der Union und sogar der AfD nutzen könnte.
Die SPD und Grünen: Motive und Hemmungen
SPD und Grüne stehen vor einem Dilemma eigener Art. Einerseits haben sie ihre Wählerbasis auf einen eher humanistischen, liberalen Kurs eingeschworen und in den letzten Jahren bedeutende Integrationsmaßnahmen finanziert. Ein plötzlicher Schwenk oder sogar ein Kompromiss mit verschärften Migrationsplänen würde Misstrauen im eigenen Lager hervorrufen. Hinzu kommt, dass bei einer Kooperation mit der CDU in dieser heiklen Frage die Gefahr besteht, sich dem Vorwurf des „Wortbruchs“ auszusetzen. Andererseits droht bei einer kompletten Blockade und möglichen Neuwahlen die Gefahr weiterer Stimmverluste an Parteien, die harte Maßnahmen versprechen.

Blick nach vorn
Die CDU hat mit ihrem Vorgehen eine Diskussion ausgelöst, wie sie in Deutschland lange nicht mehr geführt wurde. Gerade die kommenden Wochen werden zeigen, ob sie ihre strategischen Ziele durchsetzen kann oder ob SPD und Grüne ihre eigene Position halten – selbst auf die Gefahr hin, damit eine Regierungskrise zu provozieren. Klar ist, dass die CDU den Druck aufrechterhält, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und sich nicht von der AfD in die Defensive drängen zu lassen.
Wie es weitergeht, könnte auch von einem Regierungsbildungsauftrag abhängen, der – ähnlich wie in Österreich – zu einem politischen Umbruch führt. Noch ist unklar, ob Deutschland in eine Koalition gleitet, die manche Wähler nur zähneknirschend akzeptieren. Sicher ist aber: Diese Machtspiele werden den politischen Diskurs des Landes prägen und die Glaubwürdigkeit der beteiligten Parteien auf die Probe stellen.
Quellenangaben
Am 22. Januar 2025 ereignete sich in Aschaffenburg ein tragischer Messerangriff, bei dem ein zweijähriger Junge und ein 41-jähriger Mann ums Leben kamen. Drei weitere Personen wurden schwer verletzt. Der mutmaßliche Täter, ein 28-jähriger Afghane, wurde festgenommen. tagesschau.de
Am 23. Januar 2025 äußerte sich CDU-Chef Friedrich Merz zu dem Vorfall und kündigte an, im Falle seiner Wahl zum Bundeskanzler am ersten Tag seiner Amtszeit das Bundesinnenministerium anzuweisen, alle deutschen Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und illegale Einreisen zurückzuweisen. tagesschau.de
Ebenfalls am 23. Januar 2025 veröffentlichte AfD-Chefin Alice Weidel einen offenen Brief an Friedrich Merz, in dem sie eine Zusammenarbeit in der Migrationspolitik anbot. Sie schlug vor, in der kommenden Sitzungswoche des Bundestages gemeinsam Beschlüsse für eine "überfällige Migrationswende" zu fassen. tagesschau.de
Am 24. Januar 2025 lehnte die CDU das Kooperationsangebot der AfD ab. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bezeichnete das Angebot als "vergiftete Offerte" und betonte, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben werde. tagesschau.de
Am 25. Januar 2025 kritisierte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich die Vorschläge der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik und lehnte eine Unterstützung ab. Auch die Grünen äußerten ihre Ablehnung gegenüber den Plänen der CDU. tagesschau.de
Am 26. Januar 2025 kündigte die CDU an, in der kommenden Woche eigene Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik in den Bundestag einzubringen, unabhängig davon, wer ihnen zustimmt. tagesschau.de
Am 27. Januar 2025 erarbeitete die CDU ihre Anträge und übermittelte sie an SPD, Grüne und FDP, jedoch nicht an die AfD, mit dem Ziel, gemeinsam im Bundestag darüber abzustimmen. tagesschau.de
Die CDU hat in jüngster Zeit Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik in den Bundestag eingebracht. Obwohl die Partei offiziell jede Zusammenarbeit mit der AfD ablehnt, nimmt sie in Kauf, dass ihre Initiativen mit Unterstützung der AfD beschlossen werden könnten. CDU-Chef Friedrich Merz betonte, dass die Union ihre Anträge unabhängig davon einbringt, wer ihnen zustimmt. tagesschau.de
In Österreich führte die Koalition der konservativen ÖVP mit der rechtspopulistischen FPÖ in der Vergangenheit zu erheblichen politischen Turbulenzen. Die FPÖ konnte ihren Stimmenanteil bei der Landtagswahl im Burgenland auf 23 Prozent mehr als verdoppeln. DIE WELT Solche Entwicklungen beeinflussen die Umfragewerte der beteiligten Parteien und führen zu intensiven Diskussionen über die politische Ausrichtung des Landes.
Die SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben in ihren Programmen und Koalitionsverträgen Investitionen in Integrationsmaßnahmen vorgesehen. Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung wird betont, dass öffentliche Investitionen insbesondere in Bildung und Forschung im Rahmen der bestehenden Schuldenregel des Grundgesetzes gewährleistet werden sollen. SPD Konkrete Zahlen zu den Investitionen in Integrationsmaßnahmen und deren politische Auswirkungen sind jedoch oft schwer zu quantifizieren und hängen von verschiedenen Faktoren ab.

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